Die drei Stufen der Universalisierung (John Leslie Mackie)

„Es gibt also verschiedene Arten oder Stufen der Universalisierung. Jede fordert, daß moralische Urteile auf alle relevant ähnliche Situationen angewendet werden. Doch die erste Stufe schließt nur die rein numerische Differenz zwischen den verschiedenen Personen als irrelevant aus; die zweite Stufe schließt artmäßige Unterschiede aus, die man aufgrund seiner besonderen geistigen oder physischen Qualitäten oder Bedingungen, aufgrund seines eigenen sozialen Status oder seiner anderen Möglichkeiten für sittlich relevant halten könnte; die dritte schließt dann auch Unterschiede aus, die sich aus besonderen Vorlieben, Wertvorstellungen und Idealen ergeben.“

John Leslie Mackie (1977), Ethik. Auf der Suche nach dem Richtigen und Falschen, Stuttgart 1981, S. 123.

“There are, then, different kinds or stages of universalization. In each of them a moral judgement is taken to carry with it a similar view about any relevantly similar case. But the first stage rules out as irrelevant only the numerical difference between one individual and another; the second stage rules out generic differences which one is tempted to regard as morally relevant only because of one’s particular mental or physical qualities or condition, one’s social status or resources; the third stage rules out differences which answer to particular tastes, preferences, values, and ideals.”

John Leslie Mackie, Ethics. Inventing Right and Wrong, Harmondsworth 1977, S. 97.

 

1. Die erste Stufe der Universalisierung

„Zunächst gilt es, den bloß numerischen Unterschied im Gegensatz zum Artunterschied als irrelevant auszuklammern, d. h. den Unterschied zwischen der bloßen Individualität verschiedener Dinge und Sachverhalte. Etwas, was für dich falsch ist, kann für mich richtig sein; doch sollte dies der Fall sein, so muß irgendein qualitativer, irgendein Unterschied der Art nach zwischen dir und mir, zwischen deiner Situation und meiner bestehen, der unter den gegebenen Umständen als sittlich relevant anzusehen wäre. Etwas, was für dich falsch ist, kann nicht für mich nur deshalb richtig sein, weil ich ich bin und du du bist oder weil ich John Mackie bin und du etwa Richard Roe bist.“

Mackie, Ethik, S. 105.

“In the first place, we want to rule out as irrelevant mere numerical as opposed to generic difference, the difference between one individual and another simply as such. It may be that what is wrong for you is right for me; but if it is, this can only be because there is some qualitative difference, some difference of kind, between you and me or between your situation and mine which can be held to be, in the actual context, morally relevant. What is wrong for you cannot be right for me merely because I am I and you are you, or because I am John Mackie and you are, say, Richard Roe.”

Mackie, Ethics, S. 83f.

 

2. Die zweite Stufe der Universalisierung

Eine Ausweitung dieser Art ist folgende: Die Frage, ob eine Maxime, der man zuneigt, tatsächlich universalisierbar ist, wird dadurch entschieden, daß man sich in die Lage des anderen versetzt und sich fragt, ob man auch in diesem Fall, auch im Fall, daß man selbst der Betroffene ist, zu der Handlungsanweisung stehen würde. [...]
Bei dieser zweiten Stufe der Universalisierung halten wir Ausschau nach präskriptiven Maximen, die wir bereit sind, nicht nur in gleicher Weise auf alle Personen (Personengruppen, Nationen usw.) anzuwenden, sondern auch auf alle Individuen, gleichgültig, wie sich ihre geistigen und physischen Möglichkeiten, ihre Hilfsmittel und ihr gesellschaftlicher Status auch verändern mögen.“

Mackie, Ethik, S. 114.

“One such extension is this. To decide whether some maxim that you are inclined to assert is really universalizable, imagine yourself in the other man’s place and ask whether you can then accept it as a directive guiding the behaviour of others towards you. [...]
In this second stage of universalization, we look for prescriptive maxims that we are prepared not only to apply to all persons (groups of persons, nations, and so on) alike as things are, but also to go on applying no matter how individuals change their mental and physical qualities and resources and social status.”

Mackie, Ethics, S. 90.

 

„Bei dieser zweiten Stufe der Universalisierung versetzt man sich in die Lage des anderen, jedoch mit den eigenen gegenwärtigen Vorlieben, Wertvorstellungen und Idealen. Die Urteile, die daraus folgen, werden daher keine unfaire Stellungnahme in bezug auf die eigenen besonderen Fähigkeiten, Hilfsmittel, gesellschaftlichen Positionen oder Interessen, insofern sie von daher bestimmt sind, enthalten. Doch lassen sie immer noch eine unfaire Stellungnahme in bezug auf den eigenen besonderen Geschmack, die eigenen Ideale usw. zu.“

Mackie, Ethik, S. 116f.

“In this second stage of universalization, one imagines oneself in the other person’s place, but still with one’s own present tastes, preferences, ideals, and values. The judgements that result will not, then, take unfair account of one’s own special abilties or resources or social position, or of one’s interests in so far as they are determined by these. But they may still take unfair account of one’s distinctive tastes, ideals, and so on.”

Mackie, Ethics, S. 92.

 

3. Die dritte Stufe der Universalisierung

„Ganz offensichtlich versetzt die dritte Stufe der Universalisierung einen noch ernsthafter in die Lage des anderen, so daß seine Wünsche, sein Geschmack, seine Vorlieben, Ideale und Wertvorstellungen genauso wie seine anderen Qualitäten, Fähigkeiten und seine äußere Lage wie zu etwas Eigenem werden. Doch dann ist die Ausdrucksweise ‚sich in die Lage des anderen versetzen’ kaum noch sinnvoll; denn kaum etwas von einem selbst wird beibehalten. Vielmehr versucht man, die Sachlage zugleich aus der eigenen wie aus der Sicht des anderen zu betrachten und nach handlungsanleitenden Prinzipien [...] zu suchen, die aus beiden Blickwinkeln annehmbar erscheinen oder, besser: da es nicht nur einen anderen, sondern unendlich viele andere Menschen gibt, aus allen Blickwinkeln, von einem Standpunkt aus, der nun nicht mehr nur definiert wird durch die geistigen und physischen Qualitäten des anderen sowie die Lage, in der er sich befindet, sondern auch durch seinen Geschmack, seine ideale usw.“

Mackie, Ethik, S. 117.

“Obviously, the third stage that is called for involves putting oneself even more thoroughly into the other person’s place, so that one takes on his desires, tastes, preferences, ideals, and values as well as his other qualities and abilities and external situation. But then it hardly makes sense to talk of putting oneself in his place; hardly any of oneself is retained. Rather, what one is trying to do is to look at things both from one’s own and from the other person’s point of view at once, and to discover action-guiding principles [...] which one can accept from both points of view. Or rather, since there is not just one other person but indefinitely many, from all actual points of view, a point of view being now defined not just by the mental and physical qualities someone has and the situation in which he is placed, but also by his tastes, ideals and so on.”

Mackie, Ethics, S. 92f.

 

Literaturhinweise

• Mackie, John Leslie (1977): Ethics. Inventing Right and Wrong, Harmondsworth, S. 83–102, 151–54. – Ethik. Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen, durchgesehene und verbesserte Ausgabe, Stuttgart 1983, S. 104–30, 192–96.
• Mackie, John Leslie (1985): The Three Stages of Universalization, in ders., Persons and Values. Selected Papers Vol. II, Oxford, S. 171–83.
• Niemann, Hans-Joachim (1993): Die Strategie der Vernunft. Rationalität in Erkenntnis, Moral und Metaphysik, Braunschweig, Wiesbaden, S. 159–68.
• Rönnow-Rasmussen, Toni (1993): Logic, Facts and Representation. An Examination of R. M. Hare’s Moral Philosophy, Lund, S. 138–42.
• Schroth, Jörg (2001): Die Universalisierbarkeit moralischer Urteile, Paderborn, S. 169–85.
• Singer, Peter (1988): Reasoning Towards Utilitarianism, in Hare and Critics. Essays on Moral Thinking, hrsg. von Douglas Seanor und N. Fotion, Oxford, S. 147–60.
• Stegmüller, Wolfgang (1989): Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie Bd. IV, Stuttgart, S. 194–200.